Stegna, 12.-14. Juni
Nachdem wir am Morgen unserer Abreise aus Masuren die Campingsachen ins Auto gestopft und noch einmal auf dem Steg die Fische im seichten ruhigen Wasser des Sees beobachtet hatten, brachen wir in Richtung Danzig, oder Gdańsk, auf. Unser Weg sollte zunächst nicht direkt nach Danzig führen, sondern nach Malbork, ehemals Marienburg, in dessen Umgebung wir uns eine Übernachtungsmöglichkeit suchen und die berühmte gleichnamige Burg besuchen wollten.
Der Weg über die Landstraßen zog sich wieder in die Länge, obwohl keine große Entfernung zu überwinden war. Ständig tauchten langsam fahrende Fahrzeuge vor uns auf, und an Überholen war in den Alleen kaum zu entdecken. Was einen Einheimischen nicht davon abhielt, beim Überholen im Gegenverkehr um ein Haar mit uns zu kollidieren.
In der Stadt Litzbark-Warmiński, durch die unser Weg führte, entdeckten wir eine große Burganlage. Wir wollten sie besuchen. Da es Montag war, gelang es uns jedoch nur, einen Burgbewohner zum Tor zu locken, der uns erklärte, daß geschlossen sei. Um diese Information zu erhalten, bedurfte es wegen der Sprachbarriere auf beiden Seiten maximaler Anstrengung. Hätten wir nur mal nachgesehen, ob "montags geschlossen" nicht auch für die Marienburg galt.
Das bemerkten wir erst vor Ort. Etwas frustriert suchten wir auf unserer Karte schnell nach einem Ort, dessen Lage uns zum Aufbau unseres Zeltes veranlassen konnte.
Und weil die Umgebung da nicht sehr vielversprechend aussah und wir nicht mehr weit von der Ostsee entfernt waren, steuerten wir den Ort Stegna an. Er war noch ca. 45 Kilometer von Malbork entfernt. So fuhren wir auf von der Hitze geschmolzenen Asphaltstraßen nach Norden. Erst kurz vor Stegna wurde eine Brücke über einen Wasserweg zwischen Weichsel und dem Frischen Haff repariert, sodaß wir eine riesige Umleitung fahren mußten.
Leicht gestreßt kamen wir in Stegna an und hatten kaum ein Auge für die von Flüssen durchzogene Landschaft. In Gedanken stand noch immer der einsame Osten Polens vor uns, das dünn besiedelte Litauen. Masuren hatte uns auf dem zweiten Blick gefallen, abseits der Touristenzentren. Nun hofften wir, an der Ostseeküste, wieder nahe der russischen Grenze, ein bißchen Infrastruktur zu finden.
An der Hauptstraße sah Stegna recht verschlafen aus. Erst als wir von der Hauptstraße zum Strand abbogen, entdeckten wir: Unmengen von Campingplätzen. Der Ort entpuppte sich als Baderessort. Es war an der Zeit, daß wir unsere im äußersten Osten gewonnene Vorstellung von Polen über Bord warfen. Dennoch fanden wir einen schön gelegenen Zeltplatz im Wald. Den Nachmittag verbrachten wir am Strand. Diana fand dort jede Menge Bernsteine. Selbst Ringo fand dort einen, und das will etwas heißen. Allerdings waren die Stücke nur stecknadelkopfgroß, und es machte einige Mühe, sie aufzulesen.
Am Abend sind wir schließlich noch ein Stück die Weichselnehrung im Osten entlanggefahren. Etliche große Kormorankeile flogen über uns hinweg. Einen Weg, um von der Straße zum Frischen Haff zu laufen, fanden wir nicht.
Am nächsten Morgen fuhren wir sehr zeitig nach Mikoszewo, westlich von Stegna gelegen, direkt an der Weichselmündung. Die Frau vom Zeltplatz hatte uns gesagt, daß dies ein guter Platz sei, um Vögel zu beobachten und Bernsteine zu suchen. Es war früh am Morgen, und wir waren die ersten auf einem Waldparkplatz, aber am Strand badeten schon ein paar Menschen, andere waren, so wie wir, auf Bernsteinsuche. Bereits auf dem Weg zum Wasser fand Diana einen Bernstein. Am Strand war jede Menge Holz angespült.
In diesem Angespül brauchten wir nur ein bißchen herumzusuchen, und ohne Mühe fanden wir hier Bernsteine. Endlich konnte Diana auch ein paar größere Exemplare finden. Während Ringo immer weiter vorauslief und Möwen anschaute, war sie vom Sammelfieber gepackt. Es gab keinen Ort ohne Bernsteine. Eine Stelle des Standes war vollkommen schwarz von urzeitlichem Holz, es war sehr kleingerieben und dazwischen - kleine Bernsteinchen. Soviel Bernstein gab es, man hob die kleineren Stückchen gar nicht mehr auf. Während Diana sammelte, stürzten neben ihr Seeschwalben ins Wasser, um Fische zu erbeuten. Auf einer vorgelagerten Sandbank brüteten Zwerg- und Brandseeschwalben. Fluß- und Sandregenpfeifer liefen durch den Sand. Kormorane und Graureiher waren zu sehen. Wir konnten uns kaum von diesem Strand losreißen, aber wir wollten ja noch mal nach Malbork, um endlich die Marienburg anzusehen.
Diese beeindruckende Burganlage zog jedoch nicht nur uns an, sondern auch wieder ganze Busladungen von Schülern und polnischen und ausländischen Touristen.
Anders als im Reiseführer beschrieben, gab es keine allgemeinen deutschen oder englischen Führungen weil man die Burgräume aber nur mit einer Führung betreten durfte, bedeutete man uns, mit der nächsten polnischen Führung mitzugehen. Zunächst hatten wir uns mächtig über diesen Unsinn geärgert und sind statt dessen einer deutschen Rentnergruppe gefolgt. Wir konnten so wenigstens ein bißchen ins Detail gehende Informationen über die Burg erhaschen. Aber dann erschien uns deren Tempo zu gehetzt, so daß wir uns davonstahlen. Wir schlossen uns dann und wann einer anderen Gruppe an, bis wir es ganz sein ließen und uns allein unseren Weg bahnten, offenbar hatten die Aufsichtspersonen sowieso den Überblick verloren bei der Masse der Besucher. Es ist wirklich eine schöne und eindrucksvolle Burganlage, die nur leider die Atmosphäre einer Touristenfalle ausstrahlt.
Danach liefen wir noch einmal kurz durch den Ort Malbork, wobei wir eine Teerstraße überquerten, in der wir unsere Schuhabdrücke hinterlassen konnten.
Eigentlich war unser Plan, in Richtung Danzig weiterzufahren, um den erstbesten Supermarkt anzusteuern und uns mit Lebensmitteln einzudecken, aber an der Ausfallstraße, über die wir uns der Stadt näherten, fanden wir nichts dergleichen, so fuhren wir durch bis in die Innenstadt.
Der Verkehr staute sich zwar ein Stück weit - Berufsverkehr - aber wir fanden, ohne uns zu verirren, einen bewachten Parkplatz, der direkt neben der Innenstadt lag. Wir spazierten ein wenig herum und waren beeindruckt von der hansestädtischen Pracht der Giebelhäuser. Wir besuchten die Marienkirche, bestiegen ihren Turm und bewunderten den Blick über die Stadt.
Danzig hat eine einzigartige Atmosphäre, der auch wir, die wir sonst die Städte meiden, uns nicht entziehen konnten. Die Nähe zum Meer und der Hafen weisen in ferne Welten, die alten Häuser, mühsam wieder aufgebaut, lassen die Vergangenheit der Hansestadt näher rücken. Dazwischen flanieren polnische Jugendliche und ausländische Touristen. Stunden kann der Besucher durch Danzig streifen, in seinen Gassen immer Neues entdecken.
Kurz nachdem wir zum Zeltplatz in Stegna zurückgekehrt waren, um den Tag ausklingen zu lassen, hörten wir von der nahen Straße ein durchdringendes Geräusch - zwei Autos waren zusammengestoßen. Eines der Autos hatte sich mehrfach überschlagen. Allein, wie dies geschehen konnte, blieb uns ein Rätsel. Es war nicht erlaubt, schneller als 40 km/h zu fahren, und angesichts der obligatorischen Schlaglöcher erschien uns schon das um einiges zu schnell.
Am Morgen unserer Abreise aus Stegna besuchten wir noch die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Stutthof (Sztutowo).
Da in unserem Reiseführer die doch so schöne Gegend östlich von Danzig völlig unerwähnt blieb, hatten wir diesen Ort nur zufällig entdeckt, da die Umleitung nach Stegna dort entlang führte. Zunächst internierten die Deutschen viele Menschen aus Danzig hier, um die Stadt von "Nichtdeutschen" zu befreien. Wir sahen Baracken, die Betten und medizinische Einrichtungen. Die Ausstellung dokumentiert den Weg von der Errichtung des Lagers am 1. September 1939 bis zu den Todesmärschen während der Evakuierung vor den anrückenden Alliierten - und das Morden in den Jahren dazwischen. Als wir aus der Sommerhitze in das Krematorium eintraten, waren wir ganz allein. Der Tod war allgegenwärtig: die Verbrennungsöfen, die Urnen und die ausgestellte Asche. Zwischen und in den Öfen kletterte eine kleine Katze. Sie kam miauend auf uns zu und ließ sich streicheln.
Nach dieser erneuten Begegnung mit der Geschichte packten wir abermals unsere Sachen zusammen und fuhren wieder nach Danzig, wo es uns am Vortag so gut gefallen hatte, daß wir noch einmal zurückkehren mußten. Außerdem lag es auf unserem Weg nach Westen. Wir besuchten noch das alte Rathaus, das, wie die meisten der schönen Häuser, im Krieg sehr zerstört wurde. Die prächtige Innenausstattung jedoch hatte man rechtzeitig vor dem Bombenangriff demontiert und in Sicherheit gebracht.
Für die sich anschließenden 120 Kilometer zum Slowiński Nationalpark brauchten wir drei Stunden. Etliche Baustellen und der Berufsverkehr hatten zu quälend langen Staus geführt. Nach Westen hatte sich die Stadt auch sehr weit ausgedehnt. Wer immer Danzig besuchen möchte und wählen kann, sollte sich Danzig von Osten her nähern. Wir waren um einiges schneller im Zentrum, als wir benötigten, um wieder herauszukommen.
Im Ort Łeba haben wir uns wieder einen aus sehr vielen Zeltplätzen aussuchen können. Hier trafen wir wieder die Wohnmobilurlauber. Einer von ihnen wußte seine Zeit nicht besser zu nutzen, als stundenlang sein Wohnmobil zu putzen. Am Abend gingen wir zum Strand. Er war schon fast menschenleer.